Das Konzept der ganzheitlich orientierten Bewegungstherapie

Als grundsätzliche Orientierung jeder Bewegungsaufgabe im Institut für Ganzheitliche Bewegungstherapie gelten Aufgaben und Situationen, wie sie auch im Alltag gestellt werden und bewältigt werden müssen.
Die Aufgaben in der Bewegungstherapie sind deshalb nicht auf eine energetische Leistungssteigerung ausgerichtet, sondern zielen auf eine Gewöhnung an die freie Bewegung im Alltag, im Sport und im Beruf ab. Die Merkmale des alltäglichen Lebens geben also Prämissen des praktischen Vorgehens in der Therapie vor, da die Bewegungsaufgaben so gestellt werden sollen, wie sie grundsätzlich auch später im wirklichen und alltäglichen Leben auftreten können.

Im Alltag wird niemand von außen bewegt, sondern die Menschen bewegen sich selber aus sich heraus.

Im Alltag werden Handlungen vom Ziel her bestimmt, eine detaillierte Anweisung zur Bewegungsabfolge gibt es nicht.

Im Alltag werden keine neutralen Bewegungen als Teilbewegungen ausgeführt, sondern sinn- und bedeutungshafte Bewegungsgestalten. Die Welt wird durch Selbstbewegung wahrgenommen und es wird sich in der Welt wahrnehmend bewegt.

Im Alltag treten keine geführten einachsigen und eindimensionalen Bewegungen auf, sondern es finden stets dynamische Bewegungen statt, bei denen veränderliche und verschieden verlaufende Kräfte wirken, welche entsprechende dreidimensionale unwillkürliche Kompensationsbewegungen erforderlich machen.

Im Alltag verändern sich die Situationen ständig.

Im Alltag ist der Handelnde auf seine Umwelt konzentriert und nicht auf die Reflesion seiner Bewegung.

Der Alltag ist geprägt von sozialen Interaktionen verschiedenster Art.

Im Alltag werden Aktivitäten bevorzugt, die Freude und Spaß bereiten.

Es lassen sich folgende neun Charakteristika der alltagsorientierten Bewegungsaufgaben ableiten, die in der Bewegungstherapie berücksichtigt werden:

1. Prinzip der angemessenen Bewegungsaufgaben
Das Prinzip der angemessenen Bewegungsaufgaben besagt, dass stets die besondere Situation des Patienten (z. B. körperliche Leistungsfähigkeit, Angst vor Wasser oder Höhe, wenig Selbstvertrauen, Niedergeschlagenheit etc.) berücksichtigt werden muss und dass nur solche Aufgaben zu stellen sind, die keine Verletzungen oder andere gefährliche Störungen des Organismus hervorrufen. Es sind darüber hinaus solche Bewegungsaufgaben zu stellen, die einen Trainingseffekt im Sinne einer verbesserten Anpassung an die Anforderungen des Alltags hervorrufen. Bei jeder Therapieplanung spielen die Kenntnisse der Naturwissenschaft eine bedeutende Rolle, denn um zu wissen, wie der menschliche Körper mit seiner Naturgesetzmäßigkeit auf Einflüsse aus der Umwelt reagiert, sind z. B. biomechanische, physiologische sowie trainingstheoretische Kenntnisse unabdingbar.
2. Tendenz zur aktiven Selbstbewegung
Der Einbezug evolutionstheoretischer Erkenntnisse hat für die Vorgehensweise in der Bewegungstherapie eine maßgebliche Bedeutung. Der Mensch hat sich im Laufe seiner Evolution an die damals gegebenen Umstände angepasst. Diese Lebensumstände waren von der Notwendigkeit geprägt sich selbst mit eigener Muskelkraft fortzubewegen und die Umwelt aus eigener Kraft mit den eigenen Händen zu bearbeiten. Dies bedeutet umgekehrt, dass der Patient der Gegenwart entsprechend seinen individuellen Möglichkeiten diesen ursprünglichen Lebensbedingungen ausgesetzt werden muss, um gesundheitsfördernd zu wirken. Es sind daher insbesondere Übungen aufzugeben, die der Patient durch Aktivität als Selbstbewegung lösen muss. Sie orientieren sich an den ursprünglichen und den aktuellen Alltagsbelastungen des Menschen.
3. Tendenz zum freien Lösungsspielraum
Der Mensch ist ein weltoffenes, freies, spontanes und kreatürliches Wesen, das zur Selbstverwirklichung strebt. Innerhalb des angemessenen Rahmens sind deshalb offene Bewegungsfelder  anzubieten, in denen möglichst wenige Korrekturen von außen als Feedback gegeben werden. Suboptimale also nicht zielführende und unökonomische Bewegungsabläufe sind unerlässliche Stufen zum Lernen und deshalb nicht als Fehler anzusehen. Es muss ein Suchraum geschaffen werden, in dem der Patient das vorgegebene Ziel selbstständig und mit unterschiedlichen Mitteln erreichen kann, um die Möglichkeit zu haben, mit der Welt in einen unterschiedlich strukturierten Umgang zu gehen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Es handelt sich um eine Tendenz zum freien Lösungsspielraum, weil auch z. B. Kräftigungsübungen mit den Freihanteln aufgegeben werden, bei denen die Zweckmäßigkeit und nicht der Spielraum im Vordergrund steht. Auch gesundheitsschädigende Bewegungsabläufe müssen natürlich unbedingt korrigiert werden.

 

4. Tendenz zu Bewegungsgestalten
Bewegungen sind als sinnvolle und zielbestimmte Bewegungsgestalten zu verstehen. Sie sind also nicht willkürlich in Einzelteile zerlegbar, sondern werden durch das zukünftige Ziel geprägt und treten als Gesamtheit auf. Bewegungsgestalten beschreiben die Tatsache, dass es nie zu isolierten Muskelaktivitäten kommt, sondern dass immer auch andere Regionen des Körpers zumeist unbewusst mit einbezogen werden. Hierdurch ist es möglich, Muskeln zu trainieren, die willentlich nicht oder nur schwer isoliert innerviert werden können. Wenn in der Bewegungstherapie bei Übungen im brusttiefen Bewegungsbad die Rumpfstabilität und gleichzeitig die Kraft der Arme verbessert werden sollen, könnte der Patient sich mit einer Hand auf ein Schwimmbrett stützen und zwar mit der Aufgabe, das Brett Richtung Beckenboden zu drücken, ohne dass er zu der einen oder anderen Seite eine Rumpfbeugung ausführt. Hier werden muskuläre Aktivitäten im Sinne einer Rumpfstabilisierung provoziert, die unbewusst ablaufen.
5. Tendenz zu variablen Aufgaben
Der Patient muss sich in der Bewegungstherapie sowie im Alltag den sich ständig verändernden und variantenreichen Situationen mit ständig veränderlichen Bedingungen stellen. Da der Mensch im Alltag immer wieder einzigartigen Situationen begegnet, müssen die Übungen in der Therapie entsprechend variantenreich durchgeführt werden: So wie sich im sprachlichen Dialog zwei Gesprächspartner immer besser kennenlernen, wenn sie zahlreiche Gespräche führen, verschiedene Themen berühren und die Gespräche unterschiedlich geführt werden (Streitgespräch, Diskussion, harmonisches Gespräch), so verhält es sich auch im motorischen Dialog. Neben variantenreichen Aufgaben werden in der Bewegungstherapie allerdings auch solche vermittelt, die relativ gleichartig sind: Hierzu zählt z. B. das Ergometertraining. Darüber hinaus werden zu Beginn einer nicht gekonnten Übungsaufgabe wenig oder gar keine Veränderungen eingefügt, um Ängste und ein Misslingen zu vermeiden.
6. Tendenz zur Weltzentrierung
Entgegen dem kognitiven Lernen, bei dem Inhalte wie z. B. bewusste Einsichten, klare Vorstellungen, Abstraktionen und Urteile gestaltend wirken, ist es für die gekonnte Bewegung und das Lernen der Bewegung während des Bewegungsvollzugs notwendig, sich ganz der Aufgabe hinzugeben und so eine gefühlt richtige Bewegung ohne Reflexion zu erfahren. Wenn das nicht-thematische Fungieren des Körpers die Normalität darstellt, so ist es anzustreben, diese in der Therapie nicht immer wieder künstlich zu zerbrechen, indem die Zentrierung auf die Widerständigkeit desselben gerichtet wird. Dennoch müssen auch gerade solche Bewegungsaufgaben in der Bewegungstherapie aufgegeben werden, durch die der Körper als Gegenstand und gleichzeitig die Welt als widerspenstig erlebt wird.
7. Tendenz zum freudvollen Erleben
Wenn ein Patient große Schmerzen oder andere heftig störende Probleme hat, so ist das Bewusstsein besonders stark auf den eigenen Körper gerichtet, der sich nun in seinem Lästig-sein, in seiner Schwere und seinem Ungehorsam zeigt. In solchen Fällen ist es besonders wichtig, dem Beeinträchtigten, wenn er möchte und in der Lage ist, die Möglichkeit zu geben, einfach nach außen hin zu leben und Spaß zu haben. Hier geht es nicht ausschließlich darum, physiologische Strukturen zu trainieren oder zu optimieren, sondern ebenso eine Atmosphäre des Spaßes sowie der Freude zu bieten und eine Bewusstseins-Ablenkung vom eigenen Leid zu ermöglichen. Zwar ist die Freude und das Außer-Sich-Sein genauso wie die Bewegung bereits ein Selbstzweck, darüber hinaus kann eine fröhliche Stimmung und ein gemeinsames Beieinander Optimismus wecken und Selbstheilungskräfte des Menschen aktivieren.

8. Tendenz zu gruppenassoziierten Bewegungsaufgaben

Der Mensch ist zu jeder Zeit seines Lebens auf Gesellschaft und Gemeinschaft angewiesen. Es besteht eine hohe Korrelation zwischen Lebenserwartung und sozialer Integrität. Wenn also das soziale Mitsein ein Grundbedürfnis jedes Menschen ist und bedacht wird, dass dessen Nichtbefriedigung zu Krankheit führt, ist es insbesondere für Personen, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung wenig Möglichkeit des sozialen Austauschs und der sozialen Teilhabe haben, von fundamentaler Bedeutung, soziale Kontakte zu ermöglichen. In der Bewegungstherapie wird, wenn es der Zustand des Patienten zulässt, auch mit mehreren Personen „partner- oder gruppenassoziiert“ gearbeitet. Dies bedeutet allerdings nicht, dass alle Patienten gleichzeitig dieselben Aufgaben durchzuführen haben, die ein einzelner Therapeut vorgibt. Vielmehr betreuen in der Regel mehrere besonders qualifizierte Therapeuten die Patienten auf individuelle Weise entsprechend ihrer Beeinträchtigungen und ihrem Leistungsniveau. Jeder Patient befasst sich zunehmend selbstständig mit speziell auf ihn zugeschnittenen Bewegungsaufgaben. Hierbei ergibt sich im Laufe der Zeit die Kontaktaufnahme und ein Miteinander mit anderen Patienten.
9. Mögliche Berücksichtigung sportbezogener Aspekte
Die ganzheitliche Bewegungstherapie ist nicht mit einem Sportangebot gleichzusetzen, denn sie ist weder leistungs- noch wettkampforientiert. Dennoch sind immer wieder Aspekte des Sports in die Therapieeinheit mit einzubeziehen. Zum einen sind Erkenntnisse aus der Trainingslehre bzgl. Herz-Kreislauf-Training, Krafttraining, Beweglichkeitsschulung und Koordinationstraining unerlässlich. Zum anderen ist ein Einbezug der Sport- und Bewegungswissenschaft bereits deshalb gegeben, weil häufig an und mit Geräten aus dem Sportbereich geübt wird. Weiterhin können zur Motivation der Patienten auch Bewegungsaufgaben gestellt werden, in denen das Wetteifern Mittel und Ziel der therapeutischen Förderung ist.
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